Der Trick um Homo Deus gut zu finden ist, dass man es nicht als Sachbuch, sondern als sehr, sehr lange Meinung einer Person lesen muss. Es geht bei diesem Buch nicht um die Wahrheit, sondern um eine Möglichkeit, eine Form von begründeter Vision.
Anfangs dachte ich, dass ich einem Scam aufgesessen bin. Das denke ich überraschend häufig und habe, wie auch dieses Mal, sehr selten damit recht. Ich lerne aber nicht daraus und bin lieber sicher als Entschuldigung. (Es scheint als könnte man „better safe than sorry“ nicht direkt ins Deutsche übersetzen.)
Ganz viel von dem, was in Homo Deus als Herleitung für die letztendliche Vision erzählt wird, hat man in Sapiens bereits ausführlicher erfahren. Damit fühlt sich die erste Hälfte des Buches ein wenig überflüssig an. Auf der anderen Seite könnte man die zweite Hälfte des Buches aber nicht ohne die erste verständlich machen, wenn man nicht davon ausgeht, dass jeder Sapiens gelesen hat. Was natürlich Unsinn wäre. Ich mache Harari also keinen Vorwurf, möchte aber, dass die oder der geneigte potentielle Leserin oder Leser sich der Tatsache bewusst ist, dass Sapiens gelesen zu haben beim Lesen von Homo Deus sowohl hilft als auch gleichzeitig schadet. Ebenso ist nur Homo Deus lesen nicht ausreichend um alles aus Sapiens mitbekommen zu haben.
Ich war also ungefähr 50 % des Buches genervt. Am Ende gab ich ihm fünf von fünf Sternen. Harari macht etwas, womit in 2020 wenig Leute gut umgehen können: Er erklärt lang und breit und gut argumentiert, warum die Zukunft so aussehen könnte, wie er aufmalt und will Leute dazu auffordern mit dieser potentiellen Realität umgehen zu lernen. Es ergibt keinen Sinn hier seine Vision zu erklären. Lest halt das Buch. Es lohnt sich. Aber diese Meta-Ebene, die für mich das Buch ganz besonders macht, ist sehr spannend, finde ich. Seit längerem habe ich schon das Gefühl, dass wir als Gesellschaft nicht bereit sind vermeintlich negative Zukünfte in Betracht zu ziehen und früh genug etwas dagegen zu unternehmen. Von endlos komplexen Problem wie Klimawandel über Digitalisierung bis hin zur Zukunft von Demokratie. Wir hoffen auf‘s Beste, führen den Diskurs auf einer „Naja, das darf halt nicht sein“-Basis und verdrängen absehbare Probleme bis sie uns mit der Faust die Nase brechen. Da kam plötzlich eine unnötig gewaltvolle Metapher mit ins Spiel, aber sie funktioniert.
Nur zu sagen, dass man eine wahrscheinliche Zukunft nicht gut fände, bringt nichts. Harari stellt den (meiner Meinung nach ganz süß optimistischen) Versuch an einen Diskurs früh genug ins Rollen zu bringen, damit wir nicht überrascht sein werden. Mein Menschenbild ist nicht positiv genug um davon auszugehen, dass er damit Erfolg haben wird, aber ich wünschte, mehr Menschen würden machen, was er versucht.